Omnibus regt auf. ESG entscheidet.

Die sogenannten Omnibus-Vorschläge der Europäischen Kommission für eine Verschiebung und Senkung der Berichtspflichten zu Nachhaltigkeit (CSRD) haben für viel Aufregung gesorgt und sind vielfach kritisiert worden. Ja, Omnibus sorgt für Verunsicherung. Ja, man hätte diesen Akt anders aufziehen können. Ja, das Warten nervt.

Mich stört allerdings weniger die politisch bedingte Unbestimmtheit der Vorschläge als viel mehr, dass der Omnibus dem bereits angestoßenen Transformationprozess deutlich Dynamik und Tempo nimmt. Einem Transformationsprozess, der sich im Zusammenspiel zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft zeigt und weiter zunehmen wird: Denn Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG) nehmen immer mehr den Platz ein als Risikofaktoren, die für Kreditvergabe oder Investition entscheidungsrelevant sind – ganz gleich, ob ein Unternehmen von Regulierung (oder momentan vom Omnibus) betroffen ist oder nicht.

ESG als Risikofaktor in der Finanzregulierung bleibt

Einer der Gründe dafür liegt darin, dass für Kapitalgeber – Banken und Investoren – ESG-bezogene Regulierungen gelten, die über den Omnibus hinausgehen. So müssen laut der „MA Risk“ der Bundesfinanzaufsicht Bafin die Finanzdienstleister ESG-Risiken explizit in Kredit-, Markt-, Liquiditäts- und operationellen Risiken berücksichtigen und sie einbinden im Risikomanagementsystem, der Gesamtbanksteuerung und dem internen Kapitaladäquanzverfahren (ICAAP), nach dem sich die Eigenkapitalunterlegung richtet. Zu nennen sind auch die EZB-Stresstests zu Klimarisiken, deren Ergebnisse in aufsichtliche Beurteilungen (SREP) einfließen.

Nicht zuletzt hat EU-Bankenaufsicht EBA im Januar 2025 Leitlinien für das Management von ESG-Risiken beschlossen. Sie bestimmen: „Institutionen sollten eine ausreichend große Bandbreite an Umweltfaktoren berücksichtigen, die mindestens klimabezogene Faktoren, die Verschlechterung von Ökosystemen und den Verlust der biologischen Vielfalt umfasst“, und „bei großen Institutionen sollte die Bewertung der Umweltrisikofaktoren zumindest (…) die Exposition des Geschäftsmodells und/oder der Lieferkette des Kontrahenten gegenüber kritischen Störungen aufgrund von Umweltfaktoren umfassen“.

Geld- und Kreditgeber werden wählerisch

Banken und Investoren werden zukünftig wählerischer sein, welche ESG-Risiken sie finanzieren – und welche nicht. Dabei sind nicht nur regulatorische, sondern auch eigene strategische Vorgaben entscheidend.

Ob eine Bank das Risiko einer Finanzierung eingeht, ist mit abhängig von einer Lieferkette, die von der Bank über ihren Kreditausfallversicherer bis hin zu dessen Rückversicherer verläuft. Darin spielen Klima- und Biodiversitätsrisiken eine zunehmend große Rolle. Das geht so weit, dass zu risikoträchtige Kredite nicht mehr zu versichern sind oder nur gegen hohe Prämien, die sich auf die Kreditkosten für das betreffende Unternehmen niederschlagen.

Potenzielle Risiken wie auch Chancen liegen so gesehen eher im Geschäftsmodell des Kreditnehmers. Klimawandel und fortschreitender Verlust an Biodiversität sind nicht nur lebensweltliche Probleme, sondern haben auch potenzielle finanzielle Auswirkungen. Mehr als die Hälfte des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (58 Billionen US-Dollar) ist von Natur und ihren Ökosystemleistungen abhängig.

Funktionäre von Industrieverbänden, auch konservative und liberale Politiker argumentieren gerne: „Was wollen wir – Arbeitsplätze oder Klimaschutz? Diversität oder Profitabilität? Menschenrechte oder niedrige Lohnstückkosten? Wir müssen uns entscheiden.“ Diese Scheinfragen gehen am Thema vorbei: Wirtschaftlichkeit und ESG gegeneinander auszuspielen, ist spätestens dann hinfällig, wenn ESG-Risiken Geschäftsmodelle gefährden oder Kapital (Assets) zunichtemachen.

Die scheidende Bundesregierung hat mit ihren Schreiben an die EU-Kommission Ende vergangenen Jahres, worin sie für eine Verschiebung und Aufweichung der CSRD plädierte, gezeigt, dass sie das nicht begriffen hat. Erstaunlich, dass sich unter den Unterzeichnern auch ein grüner Minister befand.

Und dem Vernehmen nach haben in einem Arbeitskreis Unions-Abgeordnete von den Chefunterhändlern der Koalitionsverhandlungen gefordert, CSRD, Taxonomie und die 2024 beschlossenen EU-Richtlinie zu Lieferkettensorgfaltspflichten (CSDDD) komplett abzuschaffen (Tagesspiegel Background berichtete). Das ist an Ignoranz nicht mehr zu überbieten. Würden diese Forderungen Teil des Regierungsprogramms, würde dies die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, die sich zu weiten Teilen bereits auf die CSRD eingestellt haben, massiv schädigen.

Politik sollte unternehmerische ESG-Risiken verstehen

Anders als viele Politiker haben viele Unternehmen verstanden, dass es bei ESG nicht um „wokes“ Gedankengut oder die Ängste grüner Spinner geht, sondern um das Management unternehmerischer ESG-Risiken. Unternehmen müssen Geld verdienen, um in Transformation investieren zu können. Was wäre aber, wenn Klimawandel und Verlust der Biodiversität das Geldverdienen an sich gefährden? Wenn die wirtschaftliche Basis durch jene Risiken bedroht würde, die jetzt erst einmal in ihrer Priorität nach hinten geschoben werden sollen?

Die Aufweichung der Green-Deal-Regulierung würde genau das stimulieren und wäre kontraproduktiv. Es würde womöglich die Finanzierungskosten von Unternehmen in die Höhe treiben. Unverständlich, warum die Gefährdung der wirtschaftlichen Basis vieler Unternehmen durch Klimawandel und Verlust der Biodiversität sich nicht bis nach Berlin und Brüssel herumgesprochen hat.

Unternehmen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, erfordert, sie dabei zu unterstützen, zu verstehen und zu bemessen, welche klima- und biodiversitätsbezogenen Risiken ihnen drohen, wo sie wirtschaftlich betroffen sei könnten. Das wäre die Aufgabe von Deutschland und der EU, wenn es ihnen wirklich darum ginge, die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu stärken.

Viele Unternehmen sind längst engagiert

Banken und Investoren werden von Unternehmen erwarten, dass sie zu beiden ökologischen Krisen verlässlich und quantitativ berichten können. Kapitalgeber brauchen Daten. Genau deshalb sollten sich Unternehmen mit ihren ESG-Risiken beschäftigen und diese offenlegen, egal, ob sie regulatorisch dazu verpflichtet sind oder nicht.

Auf der alltagspraktischen Ebene spielt es für Unternehmen schon eine Rolle, was bei den Omnibus-Aktivitäten herauskommt. Es hängen Investitionsentscheidungen daran, und Planungssicherheit ist ein kostbares Gut. Die zukünftige Bundesregierung sollte deshalb das CSRD-Umsetzungsgesetz schleunigst verabschieden. Entscheidender aus einer strategischen Perspektive ist, die fundamentalen Gründe zu erkennen und politisch aufzugreifen, warum es für die Real- und Finanzwirtschaft bedeutsam ist, sich unabhängig von CSRD und Omnibus mit ESG zu befassen – auch unabhängig davon, wie viele Mitarbeitende ein Unternehmen hat.

Viele Unternehmen haben das nach meiner Erfahrung längst verstanden und sich ernsthaft und engagiert nicht nur auf CSRD und den Berichtsstandards ESRS vorbereitet, sondern auch damit begonnen, ihre Geschäftsmodelle gründlich auf ESG-Risiken zu untersuchen. Seltsam, dass das so wenige Vertreter von Unternehmensverbänden und selbsternannte Wirtschaftspolitiker mitbekommen. Die EU-Regulierungen jetzt aufzuweichen und aufzuschieben, würde die Arbeit von zig Unternehmen untergraben und würde es Banken und Investoren erheblich erschweren, ihre eigenen ESG-Risiken zu erkennen und regulatorischen Pflichten zu erfüllen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich im Tagesspiegel und wird hier mit Genehmigung erneut veröffentlicht.


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