Nicht für die Galerie: Nachhaltigkeit muss vom Aufsichtsrat überwacht werden

Anforderungen an Unternehmen und ihre Aufsichtsräte zur Offenlegung der nichtfinanziellen Leistung nehmen stetig zu. Für gröβere Unternehmen werden gesetzliche Anforderungen dazu verschärft. Kleinere Unternehmen kommen über Erwartungen ihrer gröβeren Kunden und Finanzmarktpartner unter Zugzwang. Dabei ist es heute nicht mehr damit getan, ein paar Kennzahlen und Initiativen des Vorjahres zu berichten. Von proaktiven Unternehmen wird erwartet, dass sie Fragen der Nachhaltigkeit einschließlich des Klimaschutzes im Gesamtkontext der Geschäftstätigkeit beurteilen und vorausschauend berichten. Damit der Aufsichtsrat überwachen kann, ob der Vorstand hier adäquat handelt, braucht er als Gruppe ein gemeinsames Verständnis zu unternehmensrelevanten Nachhaltigkeitsthemen und klar geregelte Prozesse. Nur so kann er den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, -chancen und -berichterstattung wirksam überwachen.

I. Gesetzgeber, Geschäftskunden und Finanzpartner stellen höhere Anforderungen

Unternehmerische Nachhaltigkeit hat sich rasant von einem Nischendasein zu einem zentralen Thema der Wirtschaft entwickelt. Konsumenten, Geschäftskunden und Vertreter aus Politik und Zivilgesellschaft stellen zunehmend klare Forderungen an Unternehmen zu Umsetzung und Transparenz nachhaltiger Unternehmensführung.

Bereits seit 2017 ist dabei für gewisse Unternehmen die jährliche Veröffentlichung von Nachhaltigkeitsinformationen gesetzlich vorgeschrieben, wobei dem Aufsichtsrat die Pflicht zur Prüfung zukommt. Diese Vorschrift betrifft direkt nur gröβere börsenkotierte Unternehmen sowie die meisten Finanzinstitute. Es ergibt sich daraus aber auch ein zunehmender Marktdruck auf kleinere Unternehmen, die gröβere Geschäftskunden haben oder mit Finanzinstituten arbeiten – also im Wesentlichen auf alle Unternehmen. Denn Kunden und Finanzmarktpartner brauchen von diesen Unternehmen Informationen, um ihre eigene Berichtspflicht wahrnehmen zu können.

Diese Entwicklung geht gerade in die nächste Stufe steigender Verantwortung und Verpflichtung. Unternehmen werden dabei in eine doppelte Zange genommen:

  • Einerseits wird die nichtfinanzielle Berichtspflicht aktuell einer Novelle unterzogen. Es wird erwartet, dass in diesem Zusammenhang die inhaltlichen Anforderungen steigen und der Kreis der betroffenen Unternehmen wächst.
  • Andererseits werden in den nächsten Monaten weitreichende EU-Anforderungen zu Nachhaltigkeitsmanagement und -berichterstattung von Finanzinstituten in Kraft treten. Diese sind nur umsetzbar, wenn Finanzdienstleister von den Unternehmen, deren Aktien sie in ihren Porfolios halten oder denen sie Kredite geben, wesentlich mehr Informationen zu Nachhaltigkeit bekommen.

Aufsichtsräte aller Unternehmen, die hier noch Nachholbedarf haben, sollten sich deshalb zeitnah einen Überblick darüber verschaffen, wie sehr die von ihnen überwachten Unternehmen hier nachbessern müssen und wie diese Verbesserungen wirksam umgesetzt werden können. Um dies tun zu können, muss sich der Aufsichtsrat ein Bild über Aspekte wie zum Beispiel den Einfluss des Klimawandels auf die Aktivitäten des Unternehmens machen. Er muss sich aktiv in nichtfinanzielle Aspekte einbringen und sollte dazu die Diskussion mit den Executives suchen.

1. Die Auflagen zur nichtfinanziellen Berichterstattung steigen

Der Gesetzgeber hat neben Produkt- und Prozessvorschriften in vielen Branchen auch die Veröffentlichung von Informationen zu Nachhaltigkeit beziehungsweise CSR (kurz für «Corporate Social Responsibilty») geregelt. Seit 2017 ist die auf EU-Ebene als CSR-Direktive oder als Non-Financial Reporting Directive (NFRD) bekannte Vorschrift auch in deutsches Recht überführt worden.1

Dieses verlangt von bestimmten gröβeren kapitalmarktorientierten Gesellschaften sowie von bestimmten Finanzinstituten, dass sie in einem nichtfinanziellen Bericht Informationen offenlegen, die für das Verständnis der Lage des Unternehmens sowie seiner Auswirkungen auf eine Reihe von Umwelt- und Sozialthemen wesentlich sind.

Bei Unternehmen, die von dieser Berichtspflicht direkt betroffen sind, obliegt dem Aufsichtsrat die Verantwortung, diesen nichtfinanziellen Bericht oder Konzernbericht zu prüfen. Im Falle einer Missachtung der Berichtsanforderungen greifen bereits heute massive Straf- und Bußgeldvorschriften für die betroffenen Unternehmen. Neben der rechtlichen Herausforderung ergeben sich aus dieser Aufgabe positiv gesehen aber auch neue Optionen für den Aufsichtsrat, auf die Berichterstattung und damit auf die Reputation des Unternehmens Einfluss zu nehmen.2

Diese nichtfinanzielle Berichtspflicht durchläuft bereits eine Novelle. Es wird erwartet, dass dadurch die Anforderungen signifikant steigen. Künftig könnten wesentlich mehr Unternehmen betroffen sein; zur Diskussion steht vor allem auch die Ausweitung der klimabezogenen Berichtspflichten. Voraussichtlich werden zentrale Elemente der im Moment noch freiwilligen Empfehlungen der Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) in der regulierten Berichterstattung zur Pflicht. Um diese Forderungen adäquat erfüllen zu können, sollten alle Unternehmen eine Klimastrategie entwickeln und Klimafragen ins Risikomanagement integrieren.

2. Finanzdienstleister geben Sustainable Finance Druck an Realwirtschaft weiter

Eine neue Generation regulatorischer Anforderungen erfordert von Finanzunternehmen eine Integration der Nachhaltigkeit in Kernfunktionen wie Steuerung, Strategie und Risikomanagement. So verabschiedete die Europäische Kommission im März 2018 einen Aktionsplan für nachhaltige Finanzen3, der aktuell mit großer Geschwindigkeit gesetzgeberisch umgesetzt wird. Erste Elemente sind bereits beschlossen und werden im Frühjahr 2021 verpflichtend, darunter zum Beispiel die Transparenzverordnung und die Taxonomieverordnung. Während erstere vorvertragliche Transparenzvorgaben und Offenlegungspflichten für Finanzprodukte reguliert und damit massiv in die Anlageberatung und Kreditvergabe eingreift, reguliert letztere Verordnung, was zu den nachhaltigen und nicht-nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten gezählt werden darf.

Die politisch angestrebte Hebelwirkung dieser Regulierungen erschließt sich besonders klar aus dem im Dezember 2019 von der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgestellten «European Green Deal». Er verfolgt das Ziel, bis 2050 in der Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren. Europa soll somit als erster Kontinent klimaneutral werden.

Diese beiden Vorhaben bilden die Eckpfeiler jeglicher Aktivitäten der EU im Bereich nachhaltiger Finanzmärkte. Die EU hat sich damit sehr weitreichende Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Viele halten den «European Green Deal» für ähnlich anspruchsvoll wie den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg.

Dabei geht es der EU darum, die Finanzwirtschaft zu verpflichten, als Katalysator für den Umbau der Realwirtschaft zu agieren und Finanzströme in Richtung nachhaltigen Wachstums umzulenken. Dieses Ziel wird die Schnittstellen und die Zusammenarbeit zwischen Finanzinstituten und Unternehmen in allen Branchen wesentlich verändern. Laut EU-Aktionsplan brauchen Anleger beispielsweise detaillierte Informationen darüber, wieviel Umsatz ein Unternehmen mit nachhaltigen und mit nicht-nachhaltigen Aktivitäten erwirtschaftet, um zum Beispiel die Gewichtung von Aktien in einem Portfolio vornehmen zu können. Dies wird unter anderem dazu führen, dass Unternehmen deutlich mehr und auch andere Daten zur konkreten Grundlage ihrer Wertschöpfung an den Finanzmarkt kommunizieren müsse

II. Die Zeiten der Nachhaltigkeitsberichte auf Zetteln sind vorbei

Nachhaltigkeits- oder CSR-Berichte bekommen damit eine neue Aufgabe und unterliegen neuen Anforderungen. Die Zeiten, in denen Nachhaltigkeitsberichterstattung mit einem Tabellenblatt und ein paar händisch zusammengesuchten Kennzahlen und zufällig verfügbaren Beispielgeschichten abgehandelt werden konnte, sind endgültig vorbei. Denn jetzt sollen Unternehmen nichtfinanzielle Informationen offenlegen, die ihre Lage transparent machen und dem Finanzmarkt Angaben liefern, die sinnvolle Risiken- und Chancenbeurteilungen erlauben.

1. Nachhaltigkeit in doppelter Hinsicht berücksichtigen

Nachhaltigkeitsfachleute sprechen im Hinblick auf die Relevanz nichtfinanzieller Themen von «doppelter Materialität». Die eine Form der Materialität beschreibt die Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten eines Unternehmens zum Beispiel auf die Umwelt (etwa Umweltverschmutzung oder Emission von Treibhausgasen aus der Produktion oder der Lieferkette). Dieser Aspekt steht deutlich mehr im Fokus der Öffentlichkeit als die andere Form der Materialität, die beschreibt, wie sich beispielsweise Klimawandel oder Ressourcenerschöpfung wirtschaftlich auf das Unternehmen auswirken (durch physische Risiken oder häufiger noch durch Übergangsrisiken und -chancen aus sich ändernden regulatorischen und Marktbedingungen). Beide Formen der Materialität sollen von allen Unternehmen gesteuert und an den Finanzmarkt berichtet werden.

Damit ist eine neue Ära eingeläutet, denn es geht um eine vorausschauende Beurteilung der langfristigen Lebensfähigkeit von Unternehmen.

2. Zusammenhänge zwischen nichtfinanziellen und finanziellen Fragen beleuchten

Hier weisen bisher noch freiwillige Initiativen klar den Weg, den die zukünftige Regulatorik beschreiten wird. Zu nennen ist allen voran das Rahmenwerk der Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) für die Offenlegung klimabezogener Finanzauswirkungen. Es verlangt am Beispiel des Klimaschutzes, Metriken und Ziele in einem klaren Zusammenhang mit Fragen der Governance, der Strategie und des Risikomanagements zu berichten, um die Beziehungen von nichtfinanziellen und finanziellen Fragen adäquat abzubilden.

Die TCFD kann als Prototyp einer neuen Generation von Berichtsrahmen für Nachhaltigkeitsthemen verstanden werden, die funktionsübergreifende Managementaufgaben mit sich bringen. Dabei wird es für gesellschaftliche Anspruchsgruppen immer wichtiger, dass Unternehmen ihre Aktivitäten im Kontext der gesellschaftlichen Zukunftsfragen angehen und zum Beispiel an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals) ausrichten.

Dass die TCFD hier die strategische Richtung vorgibt wird auch dadurch illustriert, dass vor kurzem eine Taskforce on Nature-related Financial Disclosure (TNFD) gestartet wurde. Andere Nachhaltigkeitsthemen werden nicht lange auf sich warten lassen.

3. Zeitfenster gut nutzen, in dem noch genug Spielraum vorhanden ist

Nachhaltigkeitsrahmenwerke wie TCFD machen ein strategisches Herangehen unumgänglich, da ihre Anforderungen nicht mehr nur «Corporate Sustainability» betreffen, sondern tief in organisatorische Prozesse eingreifen. Heute sind die TCFD und vergleichbare Rahmenwerke noch «Soft Law». Sie können aber als pre-regulatorische Entwicklungen verstanden werden. So nimmt eine nicht-bindende Ergänzung der EU Kommission zu den verpflichtenden Anforderungen an das nichtfinanzielle Reporting sehr umfangreich auf die TCFD Bezug.4

Schon heute lässt sich feststellen, dass die Erwartungen an die Aufsichtsräte steigen, um sicherzustellen, dass das Unternehmen im Hinblick auf die bestehenden und kommenden Anforderungen solide aufgestellt ist. Ein aktives Engagement der Aufsichtsräte zu nichtfinanziellen Themen ist besonders im Kontext der groβen Geschwindigkeit wichtig, mit der diese Themen in die Regulatorik und in die Anforderungen von Kunden und Finanzpartnern einflieβen. Unsere langjährige Beratungstätigkeit zu Nachhaltigkeit hat gezeigt, dass Unternehmen genügend Zeit einplanen sollten, um hier solide Grundlagen zu legen und diese im Unternehmensalltag zu verankern. Das Zeitfenster bevor der Regulierungs- und Marktdruck noch stärker zum Tragen kommt, sollte von allen Marktteilnehmern optimal genutzt werden.

III. Fazit

  • Berücksichtigung der Nachhaltigkeit in Management und Berichterstattung wird zunehmend erwartet – von Unternehmen aller Gröβen und in allen Branchen.
  • Der Trend geht über die bisherige Offenlegung einiger Kennzahlen und Initiativen hinaus. Nachhaltigkeit muss als Geschäftsthema verstanden und behandelt werden.
  • Um dies tun zu können, sollte das Management einen strategischen Umgang mit Nachhaltigkeit etablieren der idealerweise eine Klimastrategie einschließt.
  • Damit der Aufsichtsrat das Unternehmen dabei wirksam überwachen kann, muss er ein Verständnis zur unternehmerischen Nachhaltigkeit entwickeln und klare Verantwortlichkeiten für nichtfinanzielle Themen sicherstellen.

1 Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen  Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz). Bundesgesetzblatt Jahrgang 2017, Teil I Nr. 20 (18. April 2017)

2 Kasemir/ Boecker, BOARD 2016, S. 203-205.

3 Europäische Kommission (2018). EU Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums.

4 European Commission (2019). Guidelines on reporting climate-related information.

Der Originaltext von Dr. Bernd Kasemir und Dr. Ralf Frank ist unter dem Titel «Nicht für die Galerie: Nachhaltigkeit muss vom Aufsichtsrat überwacht werden» in der Ausgabe 6/2020 von BOARD, der Zeitschrift für Aufsichtsräte in Deutschland, erschienen.


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