Nachhaltigkeit im Dialog mit dem Kapitalmarkt

Was Unternehmen darüber wissen sollten

Unternehmen haben im Jahre 2022 keine Wahl mehr, ob sie sich mit ESG auseinandersetzen möchten oder nicht. Regulatorisch und wirtschaftlich werden Erwartungen an sie gestellt, die es zu beantworten gilt. Dabei kommt Finanzmärkten eine besondere Gewichtung zu. Waren es in der Vergangenheit nur börsennotierte Unternehmen, die ESG-Berichte abgeben mussten, so sind mit der CSRD auch jene Unternehmen betroffen, die mit Finanzmärkten nur über ihre Hausbank Kontakt haben. Dabei gilt es, Finanzmarktakteuren, seien es Kreditsachbearbeiter, seien es Finanzanalytikerinnen, eine gute und verlässliche Qualität von ESG-Daten zur Verfügung zu stellen, die einen klaren Bezug zu Werten des Unternehmens aufweisen und Bewertungen ermöglichen.

l. ESG – eine Notwendigkeit

In der gesellschaftlichen Wahrnehmung sind Themen wie Klimawandel oder Biodiversität und Artensterben längst angekommen und gelten schon lange nicht mehr als esoterisch oder exotisch. Konsumenten kaufen zunehmend Bioprodukte, mehr und mehr Elektrovehikel fahren auf unseren Straßen, und Bilder von Dürren und Flutkatastrophen scheinen sich zu festen Bestandteilen in den Nachrichten manifestiert zu haben. Dieser globale Trend macht auch vor dem ordnungspolitischen Rahmen nicht halt und so hat sich Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren zum Treiber etlicher regulatorischer und gesetzgeberischer Maßnahmen für Unternehmen entwickelt.

Mit der Corporate Sustainable Reporting Directive (CSRD) werden viele Unternehmen, die sich bislang noch gar nicht mit Nachhaltigkeit beschäftigen mussten, in absehbarer Zeit zu Debütanten der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Denn die CSRD legt den Schwellenwert relativ niedrig auf eine Verpflichtung von Unternehmen, die zwei von drei Kriterien erfüllen, die da lauten: Umsatz größer 40 Mio. €, mehr als 250 Mitarbeiter, oder eine Bilanzsumme größer als 20 Mio. €. Und auch wenn die CSRD phasenweise in Kraft tritt und kleinere bis mittelgroße Unternehmen erstmalig 2026 über ihr Geschäftsjahr 2025 berichten müssen, so bedeutet das nicht, dass ja noch ausreichend Zeit bestünde. Denn bei großen Unternehmen und Konzernen zeichnet sich ein Muster ab, nach dem die Lieferketten einer ähnlich rigorosen Prüfung unterzogen werden, wie das eigene Unternehmen. Heißt im Klartext: Lieferanten, die nicht über ihre Nachhaltigkeitsperformance berichten können oder wollen, sind die längste Zeit Lieferanten des Großunternehmens oder Konzerns gewesen.

ll. ESG – für Kreditgeber zukünftig ein Thema

Gerade aus Letzterem heraus wäre es falsch, Nachhaltigkeit als ein regulatorisches Phänomen abzutun. So zeigt sich im Finanzmarkt, dass der Trend zu Sustainable Finance auch oder trotz der regulatorischen Anforderungen ungebrochen ist und immer mehr auch konventionell orientierte Investoren ESG-Daten in ihren Investmententscheidungen nutzen. Hinlänglich bekannt ist, dass Investoren Unternehmen auf Herz und Nieren abklopfen und ganz grundsätzlich daran interessiert sind, welche Risiken und zunehmend auch Chancen sich aus nachhaltigen oder nicht-nachhaltigen Aktivitäten ihrer Investments ergeben. Neu ist aber, und Unternehmer sollten sich darauf einstellen, dass auch Kreditgeber sich mit den Nachhaltigkeitschancen und -Risiken auseinandersetzen. Mussten Unternehmen bislang Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Kapitalflussrechnung im Rahmen der Bonitätsbeurteilung Jährlich ihrer Hausbank vorlegen, so werden sie zukünftig auch um Nachhaltigkeitsdaten gebeten werden. Für Unternehmen, die als finanzmarktorientiert gelten, d.h. börsennotierte Unternehmen oder Emittenten von Anleihen, gibt es deshalb keine Alternative: ESG muss in ihre Kapitalmarktkommunikation integriert werden. Aber auch für jene Unternehmen, die sich über Kredite finanzieren oder lediglich über eine Kreditlinie verfügen, wird ESG zukünftig wichtig, und zwar als Indikator für eine gute Unternehmensführung. Banken suchen ganz grundsätzlich Unternehmen, bei denen sie sich keine ESG-Risiken einhandeln. Davon abgesehen vergeben Unternehmen Chancen, sich zu positionieren und sich von ihren Wettbewerbern abzusetzen, wenn sie ihre fundierte und glaubwürdige ESG-Praxis nicht prominent in der Kommunikation mit Investoren oder Kreditgebern platzieren.

lll. ESG-„Datenwüsten“ vermeiden

Zielgruppe der Finanzmarktkommunikation sind Kreditsachbearbeiter, Investoren, Finanz- und Ratinganalysten. Sie müssen Unternehmen und deren erwartete Qualität der zukünftigen Performance bzw. des potenziellen Risikos schnell beurteilen. Entscheidend für Performance und Risiko sind mittlerweile nicht mehr nur ökonomische Leistungen, sondern auch die ESG-Aktivitäten – und, zunehmend der Zusammenhang zwischen diesen beiden Erfolgsdimensionen. Um den zukünftigen Erfolg von Unternehmen zu prognostizieren, brauchen Finanzmarktexperten relevante Daten, aber auch Informationen zu qualitativen Inhalten und Zusammenhängen – und diese konzis, prägnant und rasch verfügbar. Unternehmen sollten deshalb damit beginnen, ESG in ihre Finanzkommunikation zu integrieren. Kreditanalysten und Investoren können der Flut an Unternehmensdaten in aller Regel nur dadurch Herr werden, dass sie Berichte und Analysen kursorisch lesen und häufig nur fundamentale Unternehmensdaten rezipieren. Dabei wählen sie Informationen aus Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichten nach ihrem diagnostischen Wert aus. Es ist ratsam, Finanzmarktexperten generell für alle Daten, speziell aber für ESG-Daten Schnelllesehilfen wie Grafiken, Tabellen, Zusammenfassungen und Auflistungen anzubieten. Forschungsarbeiten belegen, dass Kreditgeber und Investoren offen sind für nicht-finanzielle Informationen z.B. ESG, wenn sie eine „Story” erzählen oder in Formaten angeboten werden, die schnell zu konsumieren sind.

IV. Informationsformate für ESG-Daten

Die Finanzmarkt-Story, oft als Equity Story bezeichnet, ist ein wichtiges Instrument der Kapitalmarktkommunikation. Sie spricht über unternehmensspezifische Erfolgsfaktoren, über die Strategie des Unternehmens, seine Branche, seinen Wettbewerb, aber auch über strategische Herausforderungen der Branche und wie das Unternehmen diesen Herausforderungen begegnet. Eine glaubwürdige Darstellung und Einbettung der ESG-Strategiein die Finanzmarkt-Story ist daher ein zentraler Aspekt einer überzeugenden Kapitalmarkkommunikation. Die Herausforderung bei der Integration von ESG in die Finanzmarkt-Story besteht allerdings darin, dass sie auf einem ökonomischen Narrativ beruht. Wird ein ESG-Aspekt strategisch in die Finanzmarkt-Story eingewoben, muss sich daraus eine ökonomische Auswirkung ableiten lassen, die sich positiv auf die Marktposition auswirkt und die Zukunftschancen verbessert. Die Betrachtung des Themas aus einer rein ethischen und gesellschaftlichen Perspektive ist hier nicht ausreichend. Ein zweites und gerne unterschätztes Instrument in der Finanzmarktkommunikation ist die sogenannte Analystenpräsentation. Sie vereint Teile der Equity Story und des Finanzberichts und dient oft als ergänzende Informationen im Rahmen von Telefonkonferenzen, z.B. wenn Unternehmen vierteljährlich Bericht erstatten. Investoren verwenden sie oft, wenn sie ein Unternehmen schnell nach prägnanten Leistungsdaten durchsuchen. Auch in die Analystenpräsentation sollte die ESG-Strategie sowie die daraus resultierenden relevanten Daten, aus Gründen der Glaubwürdigkeit, eingebettet werden. Ist dies nicht der Fall, entsteht die Frage, wie groß die ESG-Überzeugung des Unternehmens wirklich ist und ob die Auseinandersetzung mit dem Thema nur rein regulatorische Gründe hat oder gar als Greenwashing-Versuch gedeutet wird. Unternehmen sollten versuchen, die richtige Balance zwischen inhaltlich nötiger Breite und verdaubarer Knappheit der ESG-Darstellungen zu finden. Ein drittes Vehikel zur Kommunikation von ESG in den Kapitalmarkt ist ein sogenanntes ESG-Factbook. Hierbei handelt es sich um ESG-Datenkataloge, künftig zunehmend in maschinenlesbaren Formaten, die exakt auf die Bedürfnisse von auf Nachhaltigkeit spezialisierten Nachhaltigkeitsratinganalysten zugeschnitten sind. Nachhaltigkeitsratinganalysten werden als Zielgruppe häufig unterschätzt. Dabei nutzen Kreditgeber und Investoren oft Daten, die von ESG-Ratingagenturen erhoben werden, da sie selbst zeitlich und inhaltlich oft gar nicht imstande wären, die ESG-Daten aller im Anlageuniversum vertretenen Unternehmen zu verarbeiten.

V. Fazit

Wenn Unternehmen es ernst meinen mit der Nachhaltigkeit, dann gibt es keinen Grund, warum Berichte über ihre Chancen und Risiken, über ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten und -maßnahmen ein Schattendasein in untergeordneten Rubriken auf Webseiten oder in schlecht zu findenden Nachhaltigkeitsberichten fristen sollten. Financiers interessieren sich für Unternehmen mit Wert und Werten, die zuverlässig sind und ihren gesellschaftlichen Beitrag kennen und ausbauen möchten. Diese Motive lassen sich gut mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung bedienen — vorausgesetzt, Nachhaltigkeitsberichte und -daten sind substanziell und glaubwürdig. Nachhaltigkeit in Form von „Marketingbotschaften” ist fehl am Platze und kann glaubwürdige Botschaften zerstören.

Dieser Artikel wurde zuerst im Magazin BOARD, Zeitschrift für Aufsichtsräte in Deutschland, publiziert.


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