Die Paul Reinhart AG ist ein Baumwollhändler mit 232-jähriger Geschichte. Für das Unternehmen ist die Entwicklung und Kommunikation seiner Nachhaltigkeitsziele und -anstrengungen eine kontinuierliche Reise. Im letzten Jahr begann Reinhart mit der umfangreichen Arbeit, die reiche Erfahrung und das vielfältige implizite Wissen im Unternehmen in messbare Ziele zu übersetzen. Angeregt durch die zunehmenden Forderungen verschiedener globaler Partner nach Nachhaltigkeitsleistung und Transparenz investierte Reinhart erhebliche Anstrengungen in den Aufbau eines soliden Management- und Offenlegungsprozesses. Am Anfang stand die Vorbereitung auf die Qualifizierung für nachhaltigkeitsgebundene Darlehen.
Der Ausgangspunkt: Meilensteine der Nachhaltigkeit in einer langen Geschichte
Die 1788 gegründete Paul Reinhart AG (Reinhart) wird heute in der achten Generation als Familienunternehmen geführt. Reinhart hat seinen Hauptsitz in Winterthur, Schweiz, und verfügt über Tochtergesellschaften in Australien, China, Ägypten, Griechenland, Indien, Elfenbeinküste, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den Vereinigten Staaten, mit Minderheitsbeteiligungen an Baumwollentkörnungen in Burkina Faso, Elfenbeinküste, Tansania, Sambia und Simbabwe.
Reinhart unterhält langfristige Beziehungen zu seinen Lieferanten und begann bereits Ende des letzten Jahrhunderts in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen mit der Beschaffung und Vermarktung von Bio-Baumwolle. Heute ist das Unternehmen einer der weltweit grössten Händler von Bio- und Fair-Trade-Baumwolle und ein bedeutender Pionier und Akteur auf dem globalen Markt für nachhaltige Baumwolle.
Im Jahr 2012 startete Reinhart eine Partnerschaft mit «Cotton made in Africa» (CmiA), einem international anerkannten Standard und Zertifizierungslabel für nachhaltige afrikanische Baumwolle welche auf Initiative der «Aid by Trade Foundation» gegründet wurde. Im selben Jahr trat das Unternehmen der «Textile Exchange» bei, einer gemeinnützigen Organisation, die Textilunternehmen unterstützt, die nach mehr Nachhaltigkeit streben.
2013 schloss sich Reinhart der «Better Cotton Initiative» (BCI) an, die ursprünglich von grossen Einzelhändlern und Nichtregierungsorganisationen gegründet wurde. Sie hat sich zur grössten Initiative für nachhaltige Baumwolle entwickelt, die auf die gesamte Wertschöpfungskette abzielt. Vor kurzem war Reinhart zudem Gründungsmitglied der «African Cotton Foundation», einer gemeinnützigen Organisation, die sich für die Schaffung eines wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Baumwollsektors einsetzt.
Reinhart bietet seit 2004 Bio- und Fair-Trade-Baumwolle auf dem Markt an und unterstützt Genossenschaften durch Vorfinanzierung während der Ernte und durch die Bereitstellung von Marktinformationen.
Finanzierung als Chance
Baumwollhändler sichern den Lieferanten die rechtzeitige Zahlung vor dem Versand zu und akzeptieren die Bedingungen von Kunden, die erst dann zahlen wollen, wenn die Ware gegen die Vorlage der Dokumente versandt wird. Die Überbrückung dieser Lücke erfordert bei grossen Mengen von Agrarrohstoffen erhebliche Bankkredite, sogenannte Konsortialkredite. Aus diesem Grund stellen die Banken sicher, dass das Geschäft im Einklang mit ihren konkreten Anforderungen an die Nachhaltigkeit steht.
Da die Erwartungen der Stakeholder hinsichtlich der Nachhaltigkeit weiter steigen, wächst nicht zuletzt auch im Finanzsektor das Interesse und das Bewusstsein für das Thema. Durch nachhaltigkeitsgebundene Kredite (Sustainability Linked Loans, SLLs) erhalten Kreditnehmer einen Anreiz, Nachhaltigkeitsziele zu formulieren und über Fortschritte zu berichten.
Reinhart beschloss im Jahr 2019, seine Nachhaltigkeitsbemühungen im Hinblick auf die Einhaltung eines SLL zu überprüfen. Das Management wusste, dass das Unternehmen von seinem Profil her dafür gut qualifiziert war. Die Unternehmensleitung erkannte aber auch die besondere Chance für eine umfangreiche Ausweitung ihres Nachhaltigkeitsmanagement- und Berichterstattungsprozesses und erteilte der globalen Managementberatungsfirma Sustainserv den Auftrag, Reinhart dabei anzuleiten und zu unterstützen.
Durch Materialitätsbewertung implizites Wissen formulieren
Reinharts Zusammenarbeit mit Sustainserv begann mit einer strukturierten Materialitätsbestimmung. Das Ziel war, die für das Unternehmen und seine Stakeholder wichtigsten wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Themen zu identifizieren. Reinhart entschied sich, hierfür den Rahmen der GRI (ehemals Global Reporting Initiative) zu nutzen, um das Nachhaltigkeitsmanagement und die Kommunikation des Unternehmens auf die Themen zu konzentrieren, bei denen es am meisten bewegt.
Die Wesentlichkeit der Themen wurde in angeleiteten Workshops mit Sustainserv bestimmt. Das Ziel war eine Übersicht und Überprüfung des impliziten Wissens der Reinhart-Manager darüber, was aus Sicht des Geschäftsinteresses am wichtigsten ist, wo Reinhart den größten Einfluss hat und auf welche Aspekte die Stakeholder besonders viel Wert legen. Reinhart führte auch einen Stakeholder-Workshop mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten und dem Institut für Menschenrechte und Wirtschaft durch, um die materiellen Themen mit höchster Relevanz zu behandeln, nämlich «Arbeit und Menschenrechte» und «Lieferantenbewertung und -politik».
Die Beurteilung der Wesentlichkeit umfasste drei grundlegende Schritte:
- Identifizierung aller potenziell wesentlichen Themen, gefolgt von der Kategorisierung und Verdichtung zu einer Themenliste
- Priorisierung, Beurteilung und Evaluierung von Themen der Auswahlliste entlang dreier Dimensionen: Relevanz für den langfristigen Geschäftserfolg von Reinhart, Relevanz für die Entscheidungsfindung und das Verhalten der Stakeholder sowie Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette
- Visualisierung und Validierung der Ergebnisse hinsichtlich Plausibilität anhand einer Matrix (unten)
Eine strukturierte Materialitätsbestimmung hilft Unternehmen zu verstehen, welche wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Fragen für ihre Stakeholder besonders relevant sind, welche Auswirkungen sie haben und welche Themen ihre langfristige Wertschöpfung vorantreiben. Sie bildet die Grundlage für eine nachhaltige Geschäftsstrategie, zeigt auf, welche Key Performance Indicators (KPIs) zu verfolgen sind und erleichtert die Anpassung an die Berichterstattungsstandards.
Im Anschluss an die Bewertung der Wesentlichkeit half Sustainserv Reinhart bei der Erstellung einer Reihe von Dokumenten, darunter ein aktualisierter interner Verhaltenskodex, ein Verhaltenskodex für Lieferanten und ein Handbuch zur Unternehmensverantwortung. Management und Verwaltungsrat von Reinhart diskutierten diese Dokumente und genehmigten sie vollständig.
Messbare Ziele bestimmen
Nach der Zusammenarbeit mit Sustainserv nutzte Reinhart seine neue Dokumentation zur Entwicklung von Key Performance Indicators (KPIs) und Sustainability Performance Targets (SPTs), um für seine Bankpartner im Rahmen des Konsortialkredites Nachhaltigkeitsverbesserungen hinsichtlich der SLLs festzulegen und nachvollziehbar zu machen. Reinhart entwarf diese KPIs und SPTs auf der Grundlage der Sustainability Linked Loan Principles (SLLP) der Loan Market Association. Sie besagen, dass «die SPTs ehrgeizig und aussagekräftig für das Geschäft des Kreditnehmers sein sollten und an eine Nachhaltigkeitsverbesserung im Verhältnis zu einem vorher festgelegten Leistungsziel-Benchmark gebunden sein sollten». Im Fall von Reinhart wird ein Rabatt gewährt, wenn die festgelegten Ziele erreicht werden. Diese Ziele beziehen sich auf die Einführung eines aktualisierten Verhaltenskodex’ und Schulungen dazu, die Umsetzung des Verhaltenskodex’ für Lieferanten, den Anteil der gehandelten zertifizierten Baumwolle und den Grad der Unterstützung von Bildungsinitiativen lokaler Gemeinschaften in Subsahara-Afrika.
Reinhart bat das Beratungsunternehmen Sustainserv, das an der Festlegung der KPIs und SPTs nicht beteiligt war und somit keinen Interessenkonflikt hatte, die KPIs und SPTs zu überprüfen, unabhängig zu verifizieren und ihre Angemessenheit (ehrgeizig und innerhalb des Rahmens) für die Zielsetzung im Rahmen der SLLP zu bestätigen. Zur Bewertung der SPTs verglich Sustainserv Reinharts Vorschläge für die SLL-KPIs mit Metriken und Zielen, die im Standard des «Sustainability Accounting Standards Board» (SASB) für landwirtschaftliche Produkte enthalten sind und von ausgewählten Unternehmen der gleichen Branche und Wettbewerbern veröffentlicht werden. Die Evaluierung kam ausserdem zum Schluss, dass die von Reinhart vorgeschlagenen KPIs und SPTs gut mit den Themen übereinstimmen, die nach der Materialitätsbewertung die höchste Relevanz für den Einfluss des Unternehmens auf die nachhaltige Entwicklung haben.
Der oben skizzierte strukturierte Ansatz half Reinhart, einen SLL mit klaren Nachhaltigkeitszielen für die nächsten vier Jahre (2020-2023) zu erreichen. Die Ziele werden ab Ende 2020 jedes Jahr unabhängig geprüft. Reinhart wird weiterhin die SLL-Freigabe erhalten, solange das Unternehmen die SPTs erfüllt, wie in seiner SLL-Dokumentation dargelegt.
«Die Zusammenarbeit mit Sustainserv hat die Transformation von implizitem Nachhaltigkeitswissen in messbare Ziele schneller als erwartet vorangetrieben und uns sogar dabei geholfen, ein Sustainability-Linked Loan zu erreichen. Die nächste Herausforderung auf unserem Weg zur Nachhaltigkeit besteht darin, das Engagement für messbare Ziele auf alle globalen Operationen der Reinhart-Gruppe auszuweiten.»
Jürg Reinhart, CEO, Paul Reinhart AG
Einmal investieren, mehrfach profitieren
Die Arbeit des vergangenen Jahres hat es für Reinhart leichter gemacht, Struktur in den umfassenden Nachhaltigkeitsansatz und die unternehmerische Verantwortung zu bringen und glaubwürdig auf die diversen Forderungen von Stakeholdern nach Transparenz zu reagieren, einschliesslich der Beantragung und des erfolgreichen Abschlusses einer SLL-Vereinbarung mit einem Konsortium internationaler Banken. Das Engagement für eine umfassende nichtfinanzielle Nachhaltigkeitsberichterstattung erweist sich als nur eines von vielen wertvollen Ergebnissen des Prozesses:
- Die 150 Mitarbeitenden des Unternehmens weltweit haben dank der Schulungen zum neuen Handbuch zur Unternehmensverantwortung und dem aktualisierten internen Verhaltenskodex ein gemeinsames Verständnis darüber, was Unternehmensverantwortung für Reinhart bedeutet.
- Reinhart informierte die Lieferanten über seine Nachhaltigkeitserwartungen, wie sie im Verhaltenskodex für Lieferanten dargelegt sind.
- Reinhart bildete eine interne Arbeitsgruppe für die Sorgfaltspflicht in Menschenrechtsfragen, die sich auf die Beiträge eines hochrangigen Expertengremiums stützte und Empfehlungen des Büros des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte enthielt.
- Reinhart ist bereit, die Standards der Berichterstattung zur Unternehmensverantwortung vollständig zu erfüllen, wie es der parlamentarische Gegenvorschlag zur «Unternehmensverantwortungsinitiative» (UVI) verlangt.
- Reinhart ist in der Lage, Geschäftspartnern auf Anfrage Informationen zur Nachhaltigkeit zur Verfügung zu stellen.
- Die Schaffung von «Reinhart Sustainable Impact» ermöglicht eine strategische Ausrichtung, die konform mit den Anforderungen der Kreditgeber ist, Stakeholder einbezieht und sich auf langfristige Investitionen in der Wertschöpfungskette konzentriert.
- Reinhart verfügt über die Instrumente und das Verfahren, um mit der Herausgabe formaler Nachhaltigkeitsberichte zu beginnen, von denen der erste voraussichtlich 2021 veröffentlicht wird. Reinhart plant zudem eine dynamische Berichterstattung über die vier geprüften KPIs und weitere ausgewählte materielle Themen zu publizieren.
Ein neues Kapitel beginnt
Für Reinhart hat die Entscheidung zur Weiterentwicklung in Richtung eines besseren Berichterstattungsmechanismus zu ehrgeizigeren und umfangreicheren Nachhaltigkeitszielen geführt. Im Zusammenhang mit dem Aufbau von Grundlagen für SLLs nutzte Reinhart seine erheblichen Investitionen, um das Nachhaltigkeitsprofil des Unternehmens mit zahlreichen Leistungen zu verbessern.
Innerhalb eines Jahres hat diese fokussierte Nachhaltigkeitsinitiative Reinharts Kultur verantwortungsbewusster Geschäftspraktiken mit strukturierten und gut definierten modernen Nachhaltigkeitszielen und den damit verbundenen Kompetenzen vorangebracht. Dies ist nicht das Ende, sondern vielmehr der Beginn eines neuen Kapitels von Reinharts ehrgeiziger Reise zu mehr Nachhaltigkeit. Diese Reise schliesst Offenheit gegenüber den Stakeholdern und den Dialog mit den Anspruchsgruppen ein.
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Über die Autoren:
Dr. Philippe Saner ist Teil des Nachhaltigkeitsteams von Reinhart und treibt die Strategie der Unternehmensverantwortung voran. Seine Arbeit konzentriert sich derzeit auf die dynamische Berichterstattung und die Unterstützung der digitalen Unternehmenstransformation. Kontakt: [email protected]
Dr. Bernd Kasemir unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung von Strategien, der Leistungsmessung und der Berichterstattung über nachhaltige Wertschöpfung, seit der Mitbegründung von Sustainserv im Jahr 2001. Er arbeitete 17 Jahre lang in der US-Niederlassung von Sustainserv in Boston, bevor er 2017 zu Sustainserv nach Zürich wechselte. Kontakt: [email protected]
Urheberrecht
- Abbildung 1, 2: © Martin J. Kielmann für CmiA (Tansania, 2019)
- Abbildung 3, 4: © Lorenz Reinhart (Brasilien, 2016)
- Abbildung 5, 6: © Reinhart / Sustainserv (Schweiz, 2020)
Philippe Saner und Bernd Kasemir, Reinharts Nachhaltigkeit: Aus implizitem Wissen werden messbare Ziele, 2020, © Paul Reinhart AG und Sustainserv GmbH