Während das neue Jahrzehnt beginnt, sind viele Unternehmen damit beschäftigt, ihre Budgets festzulegen und sich Ziele für das kommende Jahr und das nächste Jahrzehnt zu setzen. Mit grosser Aufmerksamkeit verfolgen wir alles rund um das Thema Nachhaltigkeit. Durch unsere Arbeit mit Kunden, der Teilnahme an Konferenzen und Vorträgen sowie wichtigen Publikationen kristallisieren nach und nach zentrale Themen für das Jahr 2020 heraus. Nach unserer Einschätzung werden im kommenden Jahr neun Themen eine wesentliche Rolle im Bereich Nachhaltigkeit spielen:
9. Die Bedeutung von Science-Based Targets nimmt weiter zu
Zum jetzigen Zeitpunkt beteiligen sich bereits 732 Unternehmen an der Science-Based Targets Initiative (SBTi). Davon haben 312 Unternehmen wissenschaftsbasierten Zielen zugestimmt. Damit ist das Gemeinschaftsprojekt, das von der Nonprofit-Organisation Carbon Disclosure Project (CDP), vom World Resources Institute, vom WWF und von den Vereinten Nationen gefördert wird, schon ein grosser Erfolg. Allerdings gibt es weltweit über 45 000 Grosskonzerne, was bedeutet, dass sich erst knapp über 1 % der grössten Unternehmen angeschlossen haben. Es ist also noch ein weiter Weg.
Ein Fortschritt ist jedoch deutlich zu erkennen: Zum einen ist da der Druck von aussen durch Aktivisten wie Greta Thunberg. Zum anderen nimmt auch der Druck von innen zu: Investoren wollen genau abschätzen, welche Risiken und Chancen die ESG-Themen der Unternehmen bergen, in die sie investieren möchten.
8. Die Ziele beschränken sich nicht mehr auf das Minimum
Science-Based Targets sind mit CO2-Emissionen verbunden. Und insgesamt werden die meisten Aspekte im Zusammenhang mit dem «E» der ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance, also Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung) von der Wissenschaft untermauert. In sozialer Hin-sicht jedoch tauchen «ethische» und «zweckgebundene» Ziele auf dem Radar der Unternehmen auf. Für diese gesellschaftlichen Kennzahlen gibt es ebenfalls Grenzwerte, ethische Grenzwerte, die von Unternehmen angestrebt werden können, zum Beispiel eine ausgeglichene Geschlechterverteilung unter Vorstandsmitgliedern.
Unternehmen wenden sich an Berater wie uns und orientieren sich an bekannten Konzepten wie dem Future Fit Business Benchmark und dem Center for Sustainable Organizations, um die verschiedenen wissenschaftlich und ethisch begründeten Grenzwerte zu identifizieren, zu bewerten, zu quantifizieren und sich für deren Einhaltung Ziele zu setzen.
7. Es zeichnet sich eine wettbewerbsorientierte Zielsetzung ab
Die meisten Unternehmen verfolgen immer noch einen recht konservativen Ansatz, wenn es um Themen wie Energie- und Emissionseinsparungen, Verringerung des Wasserverbrauchs oder Abfallvermeidung geht. Im Laufe der Jahre konnten wir eine schrittweise Entwicklung bei der Festlegung von Zielen beobachten: von kleineren Etappen (Reduktion von 1–5 %) über bedeutendere Reduktionen (20–30 %) bis hin zu ehrgeizigeren, wissenschaftsbasierten Zielen, zum Beispiel einer Emissionsreduktion von 80 % bis zum Jahr 2050.
Jetzt, da die Zielsetzung auf Grundlage der Wissenschaft die breite Masse erreicht hat und sich Hunderte von Unternehmen ins Getümmel gestürzt haben, ist zu erwarten, dass diese es nun wagen, einen «Net Positive»-Ansatz zu verfolgen – und damit die Konkurrenz zu motivieren. Wenn zum Beispiel ein Big Player aus einer Branche doppelt so viel schafft und die Menge seiner Emissionen gleich um das Zweifache reduziert, dann könnte er der Öffentlichkeit zeigen: «Wir kümmern uns nicht nur um unsere eigenen Emissionen hier beim Unternehmen X, sondern auch um die unseres grössten Konkurrenten, Unternehmen Y.»
Wenn das mal nicht für Aufmerksamkeit sorgen wird.
6. Die Gefahr steigt, zum nächsten Opfer des Klimawandels zu werden
Der Sommer 2018 brachte weitere klimabedingte Hiobsbotschaften mit sich: das vermehrte Schmelzen von Gletschern und Polkappen, die Bedrohung von Ballungsgebieten durch Wasserknappheit sowie die Tatsache, dass Stürme an Häufigkeit und Intensität zunehmen. Besonders hart getroffen haben uns die tragischen Waldbrände rund um den Globus und im gesamten US-Bundesstaat Kalifornien. Das Feuer verwüstete Zehntausende Hektar Land, Tausende von Häusern und Hunderte von Gemeinden und trieb ein Unternehmen des S&P 500 in die Insolvenz: Pacific Gas and Electric.
Das Wirtschaftsmagazin Forbes berichtete Anfang 2019:
Das Unternehmen PG&E, das im regulierten Energiemarkt etwa 5,2 Millionen Haushalte in Zentral- und Nordkalifornien versorgt, bereitete sich darauf vor, aufgrund «potenziell vernichtender» Schadensersatzansprüche Konkurs anzumelden. Diese wurden erhoben, weil die Kraftwerke von PG&E Mitverursacher der enorm zerstörerischen Brände im Sommer 2018 waren. Damit führten die Auswirkungen der Erderwärmung wohl erstmals dazu, dass ein Unternehmen des S&P 500 Konkurs ging. Wir glauben, dass sich viele grosse Unternehmen dieser Gefahr bewusst werden, und sie sind verständlicherweise sehr besorgt. Deshalb zeichnet es sich unserer Meinung nach ab, dass im Jahr 2020 das Klimarisiko deutlich zunimmt, die Widerstandsfähigkeit steigt und neue Anpassungsstrategien entwickelt werden. Kein Unternehmen will das gleiche Schicksal wie PG&E erleiden.
5. Lösungen durch Crowdsourcing: NextGen Cup Challenge und Kooperationen zwischen Unternehmen
Mehr als eine halbe Billion Einweg-Getränkebecher landen jedes Jahr im Abfallstrom. Auf diesen Behältern findet man die Logos vieler grosser Unternehmen. Einige von ihnen (Coca-Cola, Starbucks, McDonalds) haben im Bestreben nach einer Lösung für dieses Problem im vergangenen Jahr die NextGen Cup Challenge organisiert. Bei dieser als Wettbewerb ausgerichteten Initiative erhielten die Gewinner Preisgelder, um ihre Produkte in der Beta-Phase testen zu können. Die zwölf Gewinner wurden schliesslich an der Nachhaltigkeitskonferenz GreenBiz19 in Phoenix bekannt gegeben. Bei acht von ihnen lag der Fokus auf einer wiederverwendbaren/kompostierbaren Becherauskleidung, drei reichten Entwürfe für Geschäftsmodelle ein, bei denen wiederverwendbare Becher als Service angeboten werden, und einer stellte ein neues biologisch abbaubares Material vor.
Doch die wahren Gewinner hier sind die Konsumenten und unser Planet. Wenn konkurrierende (oder auf gewisse Weise konkurrierende) Marken sich zusammenschliessen, um ein gemeinsames Problem in der Wertschöpfungskette offen, transparent und gemeinsam anzugehen, dann findet sich auch schneller eine Lösung.
Wir sind überzeugt, dass dieses Beispiel positive Resonanz finden wird und in Zukunft weitere Initiativen folgen werden. Andere Unternehmen werden somit aufgefordert, sich ebenfalls einzubringen und mit anderen Akteuren, sogar mit der Konkurrenz, in ihrer Wertschöpfungskette und darüber hinaus zu kooperieren, um gemeinsame geschäftliche und gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern.
4. Nachhaltigkeitsberichte erscheinen zunehmend in anderer Form als PDF
Das Projekt «Pivot Goals» verfolgt die ESG-Ziele der weltweit umsatzstärksten Unternehmen. Vor Kurzem ergab ein Bericht zu den Global Fortune 250, dass fast 95 % dieser Unternehmen über eine Form von Nachhaltigkeitsberichterstattung und/oder Website verfügten, die deren Massnahmen und Daten zur Nachhaltigkeit präsentiert.
Das Reporting ist zu einem wichtigen Bestandteil dieser Nachhaltigkeitsprogramme geworden, und die meisten Unternehmen lassen ihre aktuellen Projekte jährlich in ihren Bericht einfliessen. Dies geschieht fast immer auf die gleiche Weise, und zwar in Form eines Nachhaltigkeitsberichts, der als PDF-Datei von der Website heruntergeladen werden kann und auf 50–200 Seiten typische ESG-bezogene Daten, Texte und Bilder präsentiert. Wir wissen dies aus der Zusammenarbeit mit Kunden an über 300 Nachhaltigkeitsberichten, die bis ins Jahr 2004 zurückreichen. Der Nachhaltigkeitsbericht 2018 in Form eines Videos von Patagonia hat uns auf den Gedanken gebracht, dass wir in naher Zukunft einen grossen Wandel, einen Umbruch, bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung erwarten dürfen. Mithilfe von Virtual- und Augmented-Reality-Methoden erzählen Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsgeschichten und nutzen diese für Marketing, Markenentwicklung, Vertrieb und den Dialog mit Stakeholdern.
Daher haben wir uns mit dem Technologie-Marketingunternehmen Anode aus Nashville im US-Bundesstaat Tennessee zusammengeschlossen, um unsere Kunden dabei zu unterstützen, VR-/AR-Formen für ihre Nachhaltigkeitsberichte zu entwickeln mit dem Ziel, interessierten Stakeholdern die Nachhaltigkeitsgeschichte anschaulich näherzubringen.
3. Wesentlichkeitsanalysen und Modelle nach einem Multi-Szenario-Ansatz
Wir kennen alle das Resultat aus dem Standardverfahren für nachhaltigkeitsbezogene Wesentlichkeitsanalysen: Die Matrix ist in vier Quadranten eingeteilt und zeigt verschiedene ESG-Aspekte, bewertet nach ihrem Einfluss auf den internen Unternehmenswert sowie auf die externe Einschätzung und die Entscheidungen der Stakeholder. Dieses Modell war für uns alle sehr nützlich, aber es ist an der Zeit, zum nächsten Schritt, zur nächsten Phase überzugehen. Das ist notwendig, um auf die wachsende Geschwindigkeit und die Gefahr durch verschiedene ESG-Risiken zu reagieren, nämlich auf die ökologischen, gesellschaftlichen und finanziellen Auswirkungen des Klimawandels. Den Verlauf eines Orkans abzubilden, ist genauso schwer, wie eine lineare und endgültige Vorhersage zu solchen Themen zu treffen. Man kann für beides Modelle aufstellen, unterschiedliche Szenarien entwerfen, das wahrscheinlichste oder einflussreichste Ereignis ermitteln und auf dieser Grundlage Pläne erarbeiten.
Deshalb bieten wir im Rahmen unserer Wesentlichkeitsanalysen mittlerweile die Erstellung von Modellen auf Basis dieses Multi-Szenario-Ansatzes als Dienstleistung. Der Trend geht in Richtung dieser datengestützten, probabilistischen Vorgehensweise, und wir glauben, es ist jetzt an der Zeit, sich damit zu befassen.
2. Zweck, Authentizität und Achtsamkeit werden zur Norm
Im menschlichen Gehirn gibt es 300 Milliarden Neuronen und etwa 100 Billionen Verbindungen. Unser Gehirn ist der grösste Computer, der je erschaffen wurde, und auch im Alter hört die Entwicklung nicht auf. Es organisiert sich ständig neu und besitzt die Fähigkeit, sich an Veränderungen anzupassen, ob physischer Art oder durch Lebenserfahrung. Es ist für das Lernen konzipiert.
Die linke Seite des Gehirns stellt unseren linearen, mathematischen und logischen Computer dar. Diese Hälfte verarbeitet Fakten und Abläufe, nutzt Wörter und Zahlen und wird häufig als unser «Arbeitsgehirn» bezeichnet. Die rechte Hälfte des Gehirns ist unser rhythmisches, intuitives und ganzheitliches Konstrukt. Diese Bereiche sind für Kunst, Kreatives und Visualisierung zuständig, ausserdem kommen hier Gefühle und Sinneswahrnehmungen zum Tragen. Wenn wir arbeiten, blenden wir diese Hälfte des Gehirns normalerweise aus, doch vielleicht ändert sich das gerade. Die zunehmende Bedeutung von zweckorientierter Zielsetzung, Authentizität und Achtsamkeitspraktiken am Arbeitsplatz führt dazu, dass die rechte Gehirnhälfte eine immer grössere Rolle in der Wirtschaft einnimmt.
Aus diesem Grund entwickeln wir momentan ein neues Schulungskonzept für Unternehmen namens «Haven», bei dem es um das Gleichgewicht zwischen der linken und der rechten Gehirnhälfte geht. Für das zweite Halbjahr 2020 oder Anfang 2021 planen wir, «Haven Retreats» ins Leben zu rufen.
1. Der problematische Einsatz von Einwegkunststoffen erhält weltweit zunehmend Aufmerksamkeit; weitere Themen rücken in den Fokus
In der Nase einer Schildkröte steckt ein Plastiktrinkhalm. Dieses eine Bild, dieses eine Video sorgte online für über 40 Millionen Zuschauer und schaffte es, das Thema Plastik in den Ozeanen weltweit ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken.
Ob grosse Unternehmen oder ganze Länder: Im vergangenen Jahr schossen Organisationen, die verkündeten, sich strengen Ziele verpflichten und den Einsatz von Einwegkunststoffen vollständig verbieten zu wollen, geradezu aus dem Boden. Die Zahl dieser Ankündigungen nimmt weiter zu. Hier hat bei einem ESG-Thema, das bisher eher als banal galt, ein massiver Wandel stattgefunden. Warum? Weil auf einer emotionalen Basis eine Verbundenheit zwischen Menschen entstanden ist. Den meisten ist bewusst, dass wir weltweit ein Problem mit Müll in unseren Ozeanen haben. Aber zu sehen und zu fühlen, wie eine unschuldige Schildkröte darunter leidet, schafft einen persönlichen Bezug.
Mit der zunehmenden Nutzung von Smartphone-Kameras und Social-Media-Apps auf unseren Mobiltelefonen ist es nicht unwahrscheinlich, dass im kommenden Jahr – und darüber hinaus – weitere, bisher unbeachtete ESG-Themen weltweit in den Vordergrund rücken. Um für das nächste Thema gewappnet zu sein, braucht es folglich Teams für das interne Strategie- bzw. Anpassungsmanagement sowie kompetente Profis für die Bereiche Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation, die eng mit dem Nachhaltigkeitsteam zusammenarbeiten. Sind Sie bereit für den Wandel?